IM WECHSELBAD DER GEFÜHLE
Sie sollten wissen, dass es sich bei besagter Lichtquelle über dem Spiegel keineswegs um eine simple Neonröhre aus dem Baumarkt sondern um ein sündhaft teures Lichtobjekt handelt. Aber das macht es auch nicht erträglicher. Mit einer gewissen Wehmut erinnere ich mich an goldene Zeiten, als mir ein Lidstrich à la Kleopatra ohne OP-Licht und klappbare Sehhilfe gänzlich unfallfrei gelang. Der Spiegel mich und ich den Spiegel liebte - und Stunden in der Badewanne verbrachte. Illuminiert von sanftem Kerzenlicht, als wär’s aus einem Film von Kubrick. Mit Champagner und Pink Floyd, eigentlich war’s Sekt und Pink Floyd. Aber egal, es war schön. Das Bad hieß damals noch Bad und noch nicht Spa, aber es war meins. Ein winziger Tempel der Freude. Räucherstäbchen, Kopfnote Patchouli, statt Duftkerzen vom Parfumeur. Von Wellness war noch keine Rede, aber ich fühlte mich so. Good Vibrations - wie man früher eben so sagte.
Das Bad war mein sehr persönliches Rückzugsgebiet, im Guten wie im Schlechten. Keine auf cool getrimmte Nasszelle oder durchgestylte Feuchtzone. Wo sonst konnte ich -im wahrsten Wortsinn- so hingebungsvoll liebeskummergebeutelt in Tränen baden. Oder zu Samba Pa Tí von Carlos Santana ein Schaumbad à deux genießen. Sehr verliebt, sehr eng, sehr akrobatisch. sehr sexy. Herrlich.
Ich hatte ein Bad mit zwei angrenzenden Zimmern gemietet. In der original Art-Deko Lampe über dem Spiegel funzelte eine 40er Birne, jedes Watt darüber ließ die Fassung verschmurgeln. Besagte Lampe war natürlich nicht feuchtraumkompatibel und nach heutigen Sicherheits-Standards höchst fragwürdig - sah umwerfend edel aus und reichte gerade so lala für den angesagten Lidstrich. Mit viel Liebe und Kreativität wurden sogar saharabeige Kacheln mit Dattelpalmendekor erträglich, im heutigen durchdesignten 21. Jahrhundert kaum noch vorstellbar, das absolute No Go. In Ermangelung ausreichender finanzieller Mittel war nun mal alles eine Frage des persönlichen Gestaltungswillens sowie einer Riesenportion Dekorationslust, praktische Aspekte spielten eine völlig untergeordnete Rolle. In sämtlichen verfügbaren Ecken standen Jugendstilvasen mit Kunstlilien, Pfauenfedern und anderen Staubfängern. Döschen, Schalen, Muscheln vom letzten Formentera-Urlaub, zu Shampoo-Flakons umfunktionierte Karaffen und am Badewannenrand fröhlicher Kitsch, liebevoll zusammengesammelt auf diversen Trödelmärkten.
Was ist bloß passiert, dass Bäder heute vielfach so aussehen, wonach Feuchtzone und Nasszelle klingen? Pragmatisch. Praktisch. Gut? Eine Nasszelle ist eine Nasszelle ist eine Nasszelle – und an Tristesse kaum zu überbieten, trotz aufwändiger Ein-, Aus- und Umbauten mit edelstem Material und in von Architekten teuer ertüftelter Linienführung. Sehr viel ungemütlicher können auch die Mannschaftsduschen der untersten Fußball-Liga in der schwärzesten Provinz nicht aussehen. Zu meinem Kummer vermisse ich an dem privatesten aller Räume zu oft den Wohlfühleffekt und persönlichen Charakter - aber am heftigsten die behagliche Atmosphäre. Da helfen auch designpreisgekrönte Armaturen und verhörtaugliche Lichtobjekte -formerly known as Lampen– wenig, auch wenn die im MoMa in New York zu besichtigen sind. Kein Wunder also, dass so viele Menschen so schrecklich schlecht gelaunt sind, ganz besonders morgens.
Mein sündhaft teurer It-Leuchtkörper wird auch ohne mich künftig snobby & cool aussehen. Jedenfalls gehen wir beide ab sofort getrennte Wege. Wir passen einfach nicht zueinander. Der Abschied fällt leicht, ich glaube auch nicht, dass ihm Sparbirnen so richtig gut stehen werden... Soll ihn doch jemand auf Ebay adoptieren! Zum glücklichen Ende werde ich mir mein verloren geglaubtes Paradies zurückerobern, in dem ich - kerzenlichtumschmeichelt, von düsteren Gedanken an Labial- und andere Falten ungetrübt mit Champagner auf Schaumgeborene mache. Da kann ich mir sogar im trüben Morgengrauen - morning after the night before - wieder vollkommen entspannt begegnen. Lidstriche sind ab einem gewissen Alter sowieso out und Lupenspiegel machen knatschig – nebenbei: Neuerdings sind Trödelmärkte wieder ganz schwer im Kommen.
Text © Ute Hoerle, Journalistin und PR-Beraterin, Düsseldorf